Es war 2005, als ich zum ersten Mal an der LMU München mein Dissertationsvorhaben zu Vergemeinschaftsprozessen in Online-Rollenspielen im Rahmen des Oberseminars vorstellte. Nachdem ich fast 60 Minuten gesprochen hatte, regte sich die erste Wortmeldung: Statt einer Frage fiel jedoch der folgende Satz aus dem Gehege der Zähne: “Du hast so Glück. Du darfst immer spielen.” Dass der Satz mit großen Augen staunend ausgesprochen worden war, verlieh dieser sozialen Situation noch mehr Tragik als nötig. Jetzt – zwölf Jahre später – verschwand das Jahr 2017 fast komplett im Endspurt der zweiten Dissertation. Zwischen Save-Games, Speedruns und Let’s Plays blieb kaum noch Zeit, unabhängig vom “strikten, akademischen Spielplan” das Pad in die Hand zu nehmen. Aber natürlich gibt es dennoch genug Kriegsgeschichten von der Xbox One! Die erste lautet: 2017 ist 2016. Denn – Gears of War 4 beschäftigte mich weiterhin. Und es ist natürlich der Horde-Modus, der Stunde um Stunde als Podcast-Begleitung läuft.
Doch seit November hat er Konkurrenz: Das gewohnte PEW-PEW-PEW der aktuellen Call-of-Duty-Iteration im Hardcore-Team-Deathmatch ertönt gedämpft, während Deutschlandfunk Nova fleißig mein Spotify-Konto Richtung 20.000 Minuten treibt (wie die bunte Statistik zeigt) und auf Twitter die unheiligen Reste von #gamergate sich mit den Feinden von #metoo verbrüdern als ob es kein Morgen mehr gäbe. Oder nur eines, in denen hyperschwule Politikgamesredakteure sich im Menstruationsblut gewalttätiger Holzbein-Linkshänder-Lesben wälzen würden, während der Muselmann zum Gebet ruft und dabei weiße Christenmänner enthauptet.
So, was gab 2017 noch her? Verdammt packende erste dreißig Minuten bei Resident Evil 7, zum Beispiel. Und mit Go Tell Aunt Rhody auch meinen Soundtrack-Ohrwurm des Jahres. Gerade summt er mir wieder durchs Hirn. Hinfort! Mein Gegenmittel: Sich etwas traurig an Destiny 2 erinnern, welches ich nach etwa zwei Stunden Spiel abbrach. Das Schlimme: Ich weiß gar nicht so sehr, weshalb eigentlich. Je länger ich es auf jemanden oder etwas schieben möchte, desto größer und härter wird der Schuld-Cookie. Tapfer bleiben. Weiter. Keine Zeit. Sehr große Freude machten mir Let’s Plays von Nier: Automata und Horizon Zero Dawn. Besonders ersterer Titel zog mich in seinen Bann. Die vielen Zwischentöne. Das Graue. Apropos Grusel: Das erste Outlast gefiel mir besser. Auf den Befehl von Christian Huberts ließ ich mich auf Tacoma ein – und bereute es keine Sekunde. Dabei versuchte ich immer wieder, das Spiel in einen gemeinsamen Kontext mit SOMA zu stellen. Dies wollte mir nicht so recht gelingen, aber ich bin überzeugt, dass etwas diese beiden Titel verbindet. Es menschelt im All. In mehrfacher Hinsicht. Observer überraschte mich da eher wie der kalte Duschstrahl des Wintermorgens.
Bleibt also die besinnliche Frage nach dem Spiel des Jahres. Für mich ist das 2017 What Remains of Edith Finch. Was für ein emotionales Feuerwerk! Es mag daran liegen, dass ich parallel House of Leaves las…in meinem Kopf vermischten sich Inhalte, ergänzten sich absurde und tragische Erzählstränge, bildeten Untertöne zerbrechliches Eis, in das LeserInnen und SpielerInnen jederzeit einbrechen könnten, wie sie sich zu sehr auf das Medium einlassen … was sie aber sollen, damit das Lustvolle sie wie ein schwerer Mantel bedeckt. Sie atmen den schweren Stoff, schätzen die Wärme, hassen es jedoch, wenn es kratzen sollte.
Und 2018? Gespannt bin ich auf einen neuen Versuch dem Großmeister gerecht zu werden – Call of Cthulhu. Heulsusen-Emokost 1a hole ich mir mit Steins;Gate Elite. Vielleicht schenkt uns das vierte Quartal einen neuen Halo-Teil, dann bin ich freilich auch an Bord. Dem Schießbefehl werde ich bei Anthem wohl ebenso folgen. Vielleicht ein wenig Detroit: Become Human? Rückwärts gedacht, werde ich mir sicherlich die Jahresrückblicke der nahaufnahmen.ch-KollegInnen, aber auch die anderer Redaktionen ansehen, um den einen oder anderen Titel nachzuholen. Auch ohne Loot-Wut.
Loot…wie lautet da eigentlich der gegenteilige Begriff? Verzicht? Zurückhaltung? Beides trifft auf meine Hardware-Bestrebungen zu. Nachdem im Januar die PS4 meine Wohnung verlassen hatte, wurde sie nicht ersetzt oder gar gegen ein Pro-Modell ausgetauscht. Eine Nintendo Switch nahm ich zwar interessiert zur Kenntnis (vor allem, weil offenbar endlich wieder Third-Party-Produkte am Start sind), aber einen Kauf schenkte ich mir – genau wie den der Xbox One X (Scorpio wäre im Übrigen ein gleichermaßen ungeschickter Name gewesen!). Die Entscheidung dagegen liegt einerseits in der Spieleauswahl und andererseits am fehlenden TV. Okay, das 77-Zoll-Modell mit 4K, HDR und OLED liegt bei Sony aktuell nur bei 19.999 Euro – da sollte ich es nochmals überdenken. Und das Mini-SNES? Schaue ich mir bei Freunden und Bekannten an.