Wie Duelle wieder Einzug in deutsche Wohnzimmer halten.
Bereits zur Jahresmitte ein heißer Anwärter auf den Titel „Spiel des Jahres“! Nicht umsonst lobt die Kritik diese offene Wildwest-Spielwelt zu Zeiten des Einbruchs der Industrialisierung. Dabei sorgen die Macher für einen hohen Wiedererkennungswert des Genres „Western“ – zu den Insignien dieser Überlieferung kultureller Artefakte gehört auch der spannendste aller Zweikämpfe: das Duell. RUDOLF INDERST mimt den Gunslinger.
Die Feststellung, dass es sich im Fall des „Wilden Westens“ nicht um einen certain place in a certain time, sondern um einen state of mind handelt, ist untrennbar mit der Dekonstruktion des klassischen Hollywood-Western, wie sie etwa The Unforgiven (1992) von Clint Eastwood oder der aktuellere Brokeback Mountain des taiwanesischen Regisseurs Ang Lee darstellen, verbunden. Die Dekonstruktion, die ein ganzes Genre zu erfassen scheint, und der sich cum grano salis auch ein Kevin Costner samt seiner Ursprungsutopien von (Western-)Freiheit unter grenzenlosem Horizont geschlagen geben muss, schließt die Betrachtungsweisen auf die Protagonisten, sprich die großen Fixfiguren des Westernfilms, „Sheriff“, „Cowboy“ oder „Indianer“, mit ein.
Vollzieht sich also im Medium Film langsam, aber sicher ein steter Wandel, wurde bisher der Darstellung und Darstellungsweise des „Wilden Westen“ eines anderen einfluss- und erfolgreichen Mediums nur sehr wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Video- und Computerspiele sind, fasst man wirtschaftlichen Erfolg und Zeitspannen, welche SpielerInnen unterschiedlichen Alters und Geschlechts vor und mit diesen verbringen, ins Auge, zweifelsohne auf dem Vormarsch. Die Spieleindustrie befindet sich im Gegensatz zur Filmindustrie in keiner (hausgemachten) Krise, sondern erzeugt Jahr für Jahr immer höhere Profite beziehungsweise Rendite: Der homo ludens ist ein globales Phänomen unterschiedlicher Ausprägung und Stärke.
Beschäftigt man sich tiefgehender mit der Frage nach Darstellungen von Westernszenarien in Video- und Computerspielen, obsiegt zunächst ein wenig die Ernüchterung. Tatsächlich gibt es vergleichsweise wenige Spieletitel, die sich mit dieser Epoche der Geschichte auseinandersetzen. Dass aber auch Westerntitel sich sehr schnell zu einem Politikum entwickeln können, bewies im Februar 2006 Gun, ein Video- und PC-Spiel der renommierten Entwicklerschmiede Neversoft. Der Verband amerikanischer Ureinwohner Association for American Indian Developement (AAID) rief eine Protestkampagne gegen das im November 2005 erschienene und von Activision vertriebene Westernspiel ins Leben. Unter der Internetadresse „www.boycottgun.com“ ruft der AAID zum Kaufverzicht des Produktes auf, da es aus der Sicht der American Natives eine Anhäufung von rassistischen Klischees darstelle.
Digitale Rinder treiben?
Obwohl, wie bereits in der Einleitung erwähnt, der Fundus an Westernspielen auf dem Computer- und Videospielmarkt als nicht besonders groß beschrieben werden kann, begleiten doch seit Anbeginn des digitalen Spiels diese Genrevertreter die sich weiter entwickelnde Hardware. Ein typisches Beispiel stellt der Titel Gunslinger für den Commodore 64 dar – zumeist beschränken sich diese, durch die Begrenztheit der Technikressourcen der Computerfrühzeit meist eher graphisch abstrakt anmutende Spiele, auf simple Reaktionstests: Es oblag den SpielerInnen, ihr „Strichmännchen“ schneller den virtuellen Colt ziehen zu lassen als es der Computeropponent tat.
In seinem Essay What’s wrong with Cowboys? beklagt sich der Spiele-Journalist Trey Walker bitterlich über den Mangel an Westernspielen; seiner Meinung nach sei es völlig unverständlich, dass sich nicht mehr Studios an diesen Stoff wagten, der alles beinhalte, was ein Spiel brauche: „The American West of the 19th century has spawned countless movies, TV shows, and books, but for some reason, it hasn’t inspired many games. Why is this?[…] The basic elements of a great cowboy story aren’t hard to pick out. In addition to your basic good guys and bad guys, you need guns, horses, a saloon with a poker game, and a jail. Thanks to countless action games, we have the technology to realistically depict space-age plasma rifles and modern-day weapons, so 19th-century six-shooters, shotguns, and sticks of dynamite should be no problem.”
Make my day – oder: Wer zieht schneller?
Einer der bewährten Institutionen des Genres Western stellt das Duell dar. Denkt man an Filme wie High Noon (1952) oder The Quick and the Dead (1995), fällt die in Stein gemeißelte Ikonographie dieser Form der Konfrontation zwischen Männern (oder vielmehr Männer und Frauen, die im Zug eine perfekten Duellchoreographie zum Objekt, zum geschlechtsneutralen Partizipanten werden) auf. Sie scheint dem ewig selben Ritual der Ehrverletzung, der Herausforderung und der Ehrrestauration zu unterliegen. Der Unterlegene des Duells hat im Übrigen nichts mehr zu restaurieren. Er frisst den Staub, mein Freund. Die bisweilen amüsant zu lesende Webseite Legends of America schafft jedoch schnell historische Ernüchterung: „Though movies and television would like us to believe otherwise, it was very rare when gunfights occurred with the two gunfighters squarely facing each other from a distance in a dusty street. This romanticized image of the Old West gunfight was born in the dime novels of the late 19th century and perpetuated in the film era […].”
Das Westernspiel Red Dead Redemption wirft allerdings nicht wenige geschichtswissenschaftlichen Bedenken zugunsten einer spannenden und abwechslungsreichen Inszenierung über Bord und zelebriert das Fiktionale: Duelle sind Teil des spielerischen Alltags des von Rockstar San Diego entwickelten Titels, der am 21. Mai 2010 für Xbox360 und PS3 erschien und mit einem USK 18-er Rating belohnt wurde. Rock Star beschreibt RDR als ein Spiel des Amerikas zur Jahrhundertwende. Die Ära der Cowboys neigt sich dem Ende zu.
Den Leitfaden in der offenen Welt markiert die folgende Geschichte: Weil Agenten einer Bundesbehörde seine Familie bedrohen, wird der frühere Outlaw John Marston ins Grenzgebiet im Westen geschickt, um dabei zu helfen, für Recht und Ordnung zu sorgen. Wie der Spieler diesen Auftrag versteht, und wie er ihn folglich in der Sandbox umsetzt, ist zu großen Teilen ihm überlassen. Die Kameraden der Abteilung Lustig & Humor bezeichnen daher das Western-Spiel oftmals scherzhaft als GTH – eine Anlehnung an die Rockstar-Reihe GTA, die für Grand Theft Auto steht. Als John Marston macht man sich aber eher des Grand Theft Horse schuldig.
Und zu entdecken gibt es einiges – in den Weiten der wunderschönen und stimmigen Landschaften trifft man auf die unterschiedlichsten Menschen und Kuriositäten (und damit meine ich nicht nur Westerngrößen wie Wildtiere, Poker und Mexikaner!). Spieler, die sich auf diese Welt einlassen, werden mit einem Spielerlebnis belohnt, das in dieser Form tatsächlich bisher einmalig ist. Sie sind dabei nicht einmal dazu verdammt, alleine Abenteuer zu erleben. Viele interessante Mehrspieler-Modi warten auf reitende Hutträger. Doch kommen wir auf den Spin dieser kleinen Abhandlung zurück: die Institution „Duell“ in Red Dead Redemption.
Obwohl man Duelle auch forcieren kann, kommt der Spieler oft genug in Situationen, in denen ER zum Duell herausgefordert wird. Dann geht es auch schon los. Es erscheint ein Countdown – ist dieser abgelaufen, erscheint der entscheidende Schriftzug „ZIEH!“ Dieser Aufforderung kommt man am besten recht schnell nach, denn es bleibt im Anschluss sehr wenig Zeit, jene Körperteile des gegnerischen Duellanten zu markieren, auf die der Charakter unmittelbar danach feuern möchte. Ambitionierte Sportschützen nehmen natürlich ehrenvoll die Hand des Gegenübers in Visier und können diesen so durch einen gezielten Treffer entwaffnen – dieser blaze of glory ist also durchaus möglich; keineswegs muss das Duell tödlich enden.
Mit jeder Sekunde, mit der sich der Countdown Richtung Null nähert, steigt die Spannung: Werde ich die motorischen Abläufe perfekt umsetzen? Wie stark oder schnell ist der Gegner? Kann ich es mir leisten, „nur“ auf die Hand des Schützen zu feuern? Dies unterscheidet den Novizen vom routinierten Westmann – bei ihm legen sich die Gedanken; nichts steht mehr zwischen ihm und der durchzuführenden Handlung. Er ist nun ganz eins mit dem Akt. Eins mit dem Werkzeug – seinem Colt. Dann eine schnelle Handbewegung, das Aufblitzen von Metall, Schüsse lösen sich, Sekunden später können die Zuschauer in Augenschein nehmen, wer der überlegene Revolverheld war.
Ob durch ein Duell so etwas wie die Ehre eines Mannes wiederhergestellt wurde/werden konnte, muss jeder Spieler wohl für sich selbst entscheiden … vielleicht irgendwo da draußen in der Prärie unter dem Sternenhimmel, während das Lagerfeuer wohlig warm eine kleine Szenerie ausleuchtet: ein schweigsamer Mann und sein Pferd. Es warten 1000 Geschichten.
Langsamkeit entdeckend, packend, staubig