Keine Verfahrensfehler in der Pflichtverteidigung
Gears of War: Judgment (People can fly/Epic Games)
Anfang Juno 2012 verkündete man auf der E3 die Entwicklung eines weiteren Gears-of-War-Spieles. Allerdings sollte es kein echter vierter Teil, sondern ein Prequel werden, das 15 Jahre vor den Ereignissen von Teil Eins spielt. Berechtigterweise steht daher die Frage im Raum, ob kurz vor Ende der aktuellen Hardware-Generation noch einmal kräftig Kasse mit der Fan-Liebe gemacht werden soll. Die kurze Antwort: Ja. Aber weshalb sollte das schlecht sein?
Von Rudolf Inderst.
Bereits an anderer Stelle bekannte ich mich klar zu der exklusiven Xbox-Monsterhatz voller Steroid-Barbies mit Phallus-Vorliebe (eine Kettensäge AUF Sturmgewehr!): Jeder Gears-of-War-Teil ist für sich genommen ein absoluter Kaufgrund für die Konsole gewesen – und das nicht nur, weil Roadie Runs, Curb Stomps und Sound stimmten. Mit dieser, in meinen Augen sehr schweren Bürde, tritt nun ein Entwicklerstudio an, das von Epic Games aus dem fernen Europa hinzugezogen wurde, um an Judgment zu arbeiten. Die polnischen Coder von People can fly sind allerdings schon länger mit den Epic-Köpfen liiert. Spätestens seit dem erfrischend guten Bulletstorm ist man so (*fingerverschränk). Nein, eigentlich früher: Schließlich hievten die Osteuropäer 2007 Gears of War auf Windows-Rechner. Und ja doch, Painkiller stammt auch von ihnen, genug davon. Das war 2004. Genug. Jetzt!
Zeugen der Zahnräder – vom Untergang der Schwermetallkultur
Im Mittelpunkt des Games stehen die Ereignisse, die vor der Gears-of-War-Trilogie passiert sind. Im Zentrum der Action steht das Kilo Squad, das von den alten Bekannten Damon Baird und Augustus “The Cole Train” Cole angeführt wird. Gemeinsam versuchen sie, die Stadt Halvo Bay vor dem übermächtigen Gegner zu verteidigen. Und genau das habe ich auch gemacht: Ich schoss mich mit meiner (der Statistik nach stets besser abschneidenden Koop-Partnerin) durch die Kampagne, die nach Ende noch ein weiteres Kapitel bereit hält, das Parallel-Ereignisse auf dem Gears-of-War-3-Zeitstrahl zum Spielen bereit hält. Der Level-Aufbau wurde umstrukturiert, öfter erscheint der Titel jetzt wie ein Arena-Shooter; immer wieder müssen auch anstürmende Gegner-Wellen in Schach gehalten werden.
Ford, Taylor und eine Werkschließung wider Willen
Ist man bereit, einem Muskelmann mit blonden Strähnchen, einer Frau in triple-engen Latex-Hosen („Also, hier könnte man eine Cut-Scene nochmal auf ihrem Arsch enden lassen. Und beginnen. Zwischendrin bleiben wir…einfach auf ihrem Arsch.“, einem Schwarzen, dessen Hautfarbe man konsequent helltönte (der „Blacktino“ unter den Muskelbergen!) und einem „lustig“ sprechenden „Russen“ (bestimmt ein Heidenspaß für die polnischen Entwickler im Zeichen der guten alten „sowjet-polnischen Völkerfreundschaft“) bei der Arbeit zuzusehen, bekommt man das geboten, was bereits die Teil eins bis drei in Perfektion hervorhoben – kernig-überlegenes Gunplay, das auf Kosten der eher schwachbrüstigen KI vollends ausgelebt werden kann (zumindest, wenn man, wie ich, den Schwierigkeitsgrad auf „lässig“ stellt).
Retro-Futurismus und die Macht des Gestrigen
Als Teil der Einheit besucht man eine Reihe von Orten, die die Mentalität der Spielwelt (unfreiwillig?) widerspiegeln. In einem Museum erleben wir Ausstellungsräume voller militärischer Triumpf-Geschichte, wir besuchen Waffenlabore und kämpfen auf öffentlichen Plätzen, die nach Schlachten benannt sind – und obgleich wir den Entwurf einer Gesellschaft sehen, der sich auf eine konservative Vision gründet, die den Geist von Schwerindustrie und Wehrsinn atmet, sind es doch – mitunter humorvoll-sarkastische – Individuen, die ihre Befehle verweigern und so das Schlachtenglück der „Erdschleicher“ (vorerst) herbeiführen. Ob sie auch so handelten, wenn sie wüssten, dass sie selbst die unterirdische Zivilisation der Locust durch gnadenlosen Öko-Terror auf den Kriegspfade lenkten? Wir wissen es nicht.
Von mächtigen Maschinen und biestigen Bestien
Auch an den Multiplayer wagte ich mich. Statt des geliebten „Horde“-Modus fand ich ein Stück Code namens „Überleben“. Auf diesen konzentrierte ich mich in den kommenden Stunden. Nach der Festlegung, auf welcher Map gespielt werden soll, sucht man sich eine von vier Klassen (Soldat, Scharfschütze, Sanitäter oder Ingenieur) aus, mit der man ein verschlossenes Ausbruchsloch (in der deutschen Fassung fäkal-pornös mit Aus-Loch übersetzt!) gegen anstürmende Locust verteidigt. 10 Wellen müssen tapfere G.I. Joes durchhalten. Verliert das Vierergespann die erste Position, zieht es sich zu einem zweiten Ausbruchsloch zurück, bevor an einer dritten Verteidigungsstellung, dem „Generator“, die Entscheidung fällt. Tower-Defense-Liebhaber werden vor allem die Rolle des Ingenieurs lieben. Er schmeißt Geschütze auf das Schlachtfeld und repariert kaputte Hindernisse. Das gemeinsame Feierabend-Bier fällt leider aus.
Die Fears of War: Wohin geht die Reise?
Wir warten auf neue Hardware. Wir warten auf neue Software. Gears of War 4 ist beschlossene Sache. Es bleibt abzuwarten, ob ein neuer Teil der Serie auch den Mut aufbringt, substantielle, strukturelle Änderungen einzuführen. Ein Stagnieren auf höchstem Cover-Shooter-Niveau werden die Fans allerdings auch nicht übel nehmen. Es ist nach wie vor kein Konkurrent in Sicht.
Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen
Originaltitel: Gears of War: Judgment
Plattformen: Xbox 360
Genre: Third Person Shooter
Entwickler: People can fly/Epic Games
Veröffentlicht von: Microsoft Game Studios
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